SENZA CENSURA N.24
Italy, november '07 - february '08
Linke
Politik verteidigen
Solidarität gegen staatliche Repression
Linke Politik verteidigen - deshalb riefen am 9. Mai 2007 in Berlin, Hamburg und
anderswo tausende Demonstrant/innen: "Wir sind alle 129a". Die
Bundesanwaltschaft hatte an diesem Tag bundesweit 40 linke Projekte, Wohnungen
und Arbeitsplätze durchsuchen lassen. Die Vorwürfe gegen namentlich 21
Verdächtige lauteten auf "Gründung einer terroristischen Vereinigung zur
Verhinderung des G8-Gipfels" und "Gründung der terroristischen Vereinigung
'militante gruppe'" nach §129a. Erkannt wurde dieser Polizeiüberfall zu Recht
als Versuch, die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel einzuschüchtern und zu
spalten.
Beides wurde entschieden zurückgewiesen. Der anschließende Zorn gegen den Staat
stärkte die Kampagne gegen den G8-Gipfel.
Am 31. Juli wurden drei Männer - Axel, Florian und Oliver - bei Brandenburg an
der Havel verhaftet. Sie sollen beim Anzünden von Bundeswehr-LKWs beobachtet
worden sein. Noch am gleichen Tag wurde in Berlin Andrej verhaftet. Er soll sich
Monate zuvor mit einem der drei getroffen haben. Beobachtet wurde er dabei, weil
gegen ihn seit einem Jahr ein §129a-Ermittlungsverfahren läuft. Der Vorwurf: "Mitgliedschaft
in der terroristischen Vereinigung 'militante gruppe'". Das wird weiteren drei
Personen vorgeworfen, deren Wohnungen am 31. Juli durchsucht, die aber nicht
festgenommen wurden.
Gegen die vier Verhafteten wurde Untersuchungshaft
verhängt. Andrej ist inzwischen auf Kaution freigelassen worden. Axel, Florian
und Oliver sind noch im Knast.
Ein versuchter Brandanschlag gegen Fahrzeuge der Bundeswehr auf einem Gelände
der Rüstungsfirma MAN - so lautet der Vorwurf, der ihnen gemacht wird. Wir
verstehen das als antimilitaristischen Sabotageakt.
Gegen die deutsche Kriegspolitik muss sich linke
Politik richten. Die zunehmende Militarisierung im Inneren und die weltweiten
Kriegseinsätze der Bundeswehr stehen jeder emanzipatorischen Entwicklung
entgegen. Aus diesem Grund häuft sich Sabotage gegen Kriegsgeräte. Deshalb waren
die Aktionstage gegen Krieg und Militarisierung ein wichtiger Teil der Proteste
im Juni an der Ostsee. Deshalb geht die jährliche "Münchner Sicherheitskonferenz"
nicht ohne Protest vonstatten. Aus dem selben Grund stört die Kampagne "Bundeswehr
wegtreten!" in Arbeitsagenturen die Werbe- und Rekrutierungsveranstaltungen der
Bundeswehr.
Militante Aktionen sind, besonders im Vorfeld der Mobilisierung gegen den
G8-Gipfel, häufiger geworden. Die Ignoranz der Macht gegenüber den Protesten
gegen Krieg, neoliberale Globalisierung und Sozialabbau blieb damit nicht
unbeantwortet. Brandanschläge auf Bundeswehrfahrzeuge stellen, genauso wie die
massenhaften Blockaden des Tagungsortes der G8, das Gewaltmonopol des Staates
offen in Frage. Diese Entwicklungen sieht der Staat nicht gerne. Die repressive
Antwort war daher zu erwarten. Militante Politik und mögliche Perspektiven einer
revolutionären Organisierung sollen im Keim erstickt werden, auch und gerade
nach Heiligendamm. Die Entschlossenheit, die sich über die gemeinsame Erfahrung
der Stärke entwickelt, war bei den Blockaden für alle sichtbar. Dagegen soll
Angst verbreitet werden.
Kontaktschuld & Gedankenverbrechen?
Der "Terrorismus"-Vorwurf, mit dem jetzt zahlreiche Aktivist/innen
konfrontiert werden, ist alles andere als ein Vorwand. Bewusst als
diffamierender Begriff konstruiert, ist er die staatliche Reaktion auf den
Widerstand: Straßenschlachten, Brandanschläge vor dem G8-Gipfel, die "militante
Debatte" und nicht zuletzt: die "militante gruppe". Seit 2001 führt sie Angriffe
gegen multinationale Konzerne, Justizbehörden, Arbeitsämter und andere
Institutionen aus. Der
Staatsschutz hat dagegen nichts ausrichten können, was als Fahndungserfolg zu
verbuchen wäre. Nur vor diesem Hintergrund können wir uns erklären, dass zum
Textvergleich als kriminalistische Methode Zuflucht genommen wird. Da verstehen
wirklich welche die Welt nicht mehr.
Dass Terrorismusvorwürfe - in der Folge: Überwachung, Hausdurchsuchungen,
Verhaftungen - mit vagen Konstruktionen von Gedanken- und Textübereinstimmungen
begründet werden können und der Unibibliotheksausweis als Verdachtsmoment
durchgeht, das fördert die Angst. Jede/r soll sich bedroht fühlen. Viele,
tausende, haben deshalb gegen die Festnahme von Andrej, er ist promovierter
Soziologe, protestiert und dazu beigetragen, dass er aus dem Knast kam -
vorläufig. Die implizite Sorge und Behauptung, alle linken Wissenschaftler/innen
müssten nun mit der Verhaftung rechnen, ist allerdings eine Überzeichnung. Wer
die Welt interpretiert, hat nichts zu befürchten, wer praktische Konsequenzen
zieht und sie auch verändern will, wird gefährlich. Die Verbindung der sozialen
Forschung mit dem sozialen Widerstand erst ruft den Staatsschutz auf den Plan.
Der Erkenntnisgewinn, den das Rasterprogramm ausspuckt, ist banal: Linke aller
Schattierungen und Methoden, Dozent/innen wie Militante, setzen sich mit den
selben Fragestellungen in den selben Begriffen auseinander. Es ist außerdem gut
zu wissen, dass sich schon Engels mit der Wohnungsfrage beschäftigte und die
Zimmerwalder Linke bereits wusste, dass der Krieg nicht der Demokratie und der
Befreiung "unterdrückter Völker" dient. Denn die Themen sind schließlich
anschlagsrelevant. Gibt es irgendeinen Bereich der Kritik an den herrschenden
Zuständen, von der Gesundheits- bis zur Arbeitsmarktreform, von patriarchalen
Strukturen bis zum behördlichen Rassismus, der - vernünftig gedacht - nicht
einen Brandsatz rechtfertigen würde? Die Metapher vom "sozialen Sprengstoff" ist
real. Linke Kritik und Intervention will die Lunte dran legen.
Davon können wir uns nicht distanzieren. Sich gemein machen, weil es um die
gemeinsame Sache geht, das ist die Grundlage von Solidarität. Wer da eine
Verschwörung wittert, hat Recht - und liegt doch völlig falsch. Natürlich sind
wir auch solidarisch mit den drei Gefangenen und den von in diesem
Ermittlungsverfahren bedrohten Genossen, weil wir selbst in Sachen "mg"
beschuldigt werden. Einige Libertad!-Aktivisten werden deshalb seit Jahren
observiert und überwacht, ihre Wohnungen und unser Berliner Büro wurden am 9.
Mai durchsucht. Ähnlich wie in dem neueren Verfahren wird in der Übereinstimmung
formulierter Ziele, Überschneidungen in der Argumentation und Bezugnahme die
Mitgliedschaft vermutet.
Gegen den Sicherheitsstaat
Zentral in diesen Ermittlungen sind die §§129ff. Sie ermächtigen die
Verfolgungsbehörden zum temporärem Ausnahmezustand. Das war im Kaiserreich so,
als der Paragraph in der Sozialist/innen-Verfolgung zur Anwendung kam, die Nazis
nutzten ihn, gegen die KPD wurde er nach dem Verbot 1956 in Anschlag gebracht,
seit den 1970er Jahren richtet er sich gegen die bewaffnete und militante Linke.
Der ursprüngliche §129 ("kriminelle Vereinigung") wurde x-mal angepasst und
erweitert.
Inzwischen gibt es schon den §129b und, wenn wir
Schäubles Vorhaben richtig verstehen, soll noch das ganze Alphabet per Zusätze
durchgegangen werden. Verknüpft mit zahlreichen Sondergesetzen, die Rechte wie
die freie Anwaltswahl und eine unüberwachte Verteidigung einschränken bzw. außer
Kraft setzen, ist er eine scharfe Waffe gegen oppositionelle Bewegungen.
Die §129ff sind nicht "Gesinnungsparagraphen" in dem engeren Sinn, dass der
Zweck die Kriminalisierung abweichender Meinungen wäre. Vielmehr geht es um die
vermuteten oder tatsächlichen Konsequenzen aus der als gefährlich ausgemachten
Gesinnung. Der Verdacht wird genährt aus ähnlichen Begriffen (wie im aktuellen
Verfahren) oder aus Symbolen wie dem roten Stern (während der Verfolgung der
RAF) oder der roten Nelke (in der Kommunist/innenverfolgung).
Selbstverständlich würde ein Brandanschlag gegen Bundeswehrfahrzeuge auch ohne
die §§129ff strafrechtlich verfolgt. Aber die Etikettierung als Terrorismus
schafft ganz andere Möglichkeiten. Der Polizei wird jeder Lauschangriff
gestattet und für Haftbefehle reicht oft schon die Behauptung eines Verdachts.
Deshalb muss sich die Solidarität auch gegen den Sicherheitsstaat richten.
Salz in der Suppe und Sand im Getriebe
Gerade in der Konfrontation mit der Repression geht es jetzt darum, linke
Politik zu verteidigen. Natürlich sind die Kriegseinsätze der Bundeswehr, Hartz
IV und das neoliberale Programm "anschlagsrelevante Themen". Davon, und wie der
Widerstand organisiert werden kann, soll die Rede sein. Die gemeinsame
Mobilisierung gegen G8 hat aufgezeigt, welches Potenzial, welche Kreativität,
welche Bereitschaft zum entschiedenen Widerspruch wir mobilisieren können.
Nach den Beschuldigungen hat sich der versuchte Anschlag gegen die Bundeswehr
gerichtet. Ihre Ausrichtung als Eingreiftruppe im globalen Ausnahmezustand geht
einher mit einer zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft. Der Krieg ist
normal geworden, ein Dauerzustand, der kaum mehr wahrgenommen wird; so wie die
Folter keinen Zivilisationsbruch mehr darstellt, sondern eine zwar hässliche,
aber notwendigerweise zu diskutierende Option. Dagegen versuchen wir mit
Kampagnen und Initiativen die Frage von Krieg und Frieden, Ausnahmezustand und
Folter auf die Tagesordnung emanzipatorischer Politik zu setzen. Diejenigen, die
demonstrieren und die die Bundeswehr angreifen, haben das gleiche Ziel. Wir
kritisieren allerdings, dass für noch viel zu wenige diese Frage zentral ist.
Welche Kampagnen und welche Aktionsformen gegen
die Kriegspolitik am wirkungsvollsten sein werden, das zu diskutieren ist Sache
der Antikriegsbewegung. Es muss darum gehen, wie der Widerstand hier so stark
werden kann, dass der Rückzug der Truppen aus Afghanistan konkret auf die
Tagesordnung kommt. Ganz sicher werden wir uns dabei nicht an den Gesetzen eines
Staates orientieren, der auf der einen Seite Sachbeschädigung als Terrorismus
diffamiert und auf der anderen Seite einen Angriffskrieg zur Entwicklungshilfe
erklärt.
Freiheit für Axel, Florian, Oliver und alle politischen Gefangenen
Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan
Schluss mit allen Kriegseinsätzen
Initiative Libertad!, September 2007
international@senzacensura.org